1997 Prozentrechnen

Unenufe oder obenabe


Beim Jassen entscheidet dieser Spruch über Gewinn oder Verlust von ein paar Punkten. Beim Prozentrechnen jedoch könnte eine falsche Anwendung von „Unenufe oder obenabe“ fatale Auswirkungen auf das Ergebnis haben.
Von nichtjasser Sikander von Bhicknapahari

Seit einiger Zeit wettert Daniel E. gegen allerlei Rabatt-/Gschänkli-/Bonus-/Kader-Karten-Anbieter. Zu recht oder zu unrecht, kann Daniel E. überhaupt jassen?
Den Kartenträgern soll der Gastgeber bittesehr jeweils einen speziellen, zwischen 10 und 50% betragenden Rabatt gewähren. Dafür könne man mit mehr Kunden rechnen, die diesen Rabatt mehr als wettmachen. Leider vergisst man dabei schnell, dass wohl auch bereits vorhandene Kunden von diesem Rabatt profitieren werden. Seit kurzem setzt nun auch eine der drei Grossbanken die Rabattkarte als Marketingmittel ein. Bei unserer inzwischen auf 3 solcher Banken geschrumpften Konzentration besteht wohl eine 1:4 Möglichkeit, heute schon Gäste mit einem solchen CreditSuisse-Konto zu bewirten, denn es ist anzunehmen, dass ein ordentlicher Teil der Kunden ordentlich spart und anlegt, wo kämen wir denn hin wenn das Geld für salzige Abos oder ebensolche Aktien ausgegeben würde? Also besteht für den Restaurateur die Chance (oder besser das Risiko?), heute schon einen ansehnlichen Prozentsatz von Gästen zu bewirten, die genau in diesen Schnäpplikarten-Raster der CS-Marketingverwantwortlichen oder Kaderkarten-Vertreiber etc. passen.
Nehmen wir an, die Gschänklikarte zwingt Sie als Gastgeber, Ihrem Kunden 10% Rabatt zu gewähren, uf guet tüütsch 10% obenabe, und das nicht nur während einer beschränkten Aktionszeit, sondern tagtäglich, Woche für Woche, würden dann 10% Mehrumsatz reichen, um den Gewinn-Ausfall zu kompensieren (10% unenufe)??

Als Beispiel hier ein Zahlenspiel aufgrund der Presse-Präsentation dieser Idee im Bahnhofbuffet Zürich: Ausgehend von einem Average Check von Fr. 80.-, solle man sich als Gastgeber freuen, dem betuchten Gast darauf 10% zu gewähren.....
Nur: Der Gmüesler oder der Bäcker wird daraufhin nicht 10% billiger liefern. Am Warenaufwand in absoluten Zahlen wird sich also nichts ändern.
Beim je nach Betrieb und Entlöhnungsart mehr oder weniger hohen variablen Personalanteil wird’s spannend. Jene Betriebe, die die 10% Sonderrabatt wie eine Kreditkartenkommission behandeln, werden dem umsatzentlöhnten Mitarbeiter für seine Leistung gleich viel bezahlen wie zuvor, denn schliesslich soll der Rabattgast genauso freundlich bedient werden wie der nebenan sitzende Vollzahler. Aber wie sieht es z.B. beim Küchenchef mit der guten Rendite und der darauf basierenden Bonuszahlung aus? Erhält er nun wegen diesem Rabatt und dem je nach Buchungsart erhöhten Warenaufwand weniger Bonus wo er doch genauso haushälterisch mit den Rohprodukten wie vorher umgeht? Betriebe, die das variable Einkommen der Service- oder Küchen-Mitarbeiter auch um 10% schmälern, erweisen der Konjunktur einen Bärendienst .... Das Salärkonto solcher Mitarbeiter kommt wohl je länger je weniger in den Genuss einer solchen Schnäppchenkarte.

Wie könnte also die Rechnung im Detail aussehen?

                                                            bisher                   nachher
Umsatz                                                     80                             72
Warenaufwand                                         24                             24
Variabler Personalanteil                              8                               8
Deckungsbeitrag                                      48                             40
in %                                                      60,0%                         56%

Differenz Deckungsbeitrag                    minus 4%

Frage: Wieviel Mehrumsatz muss in obengenannter Musterrechnung getätigt werden, damit sich dieser Einsatz (inklusive administrativem Aufwand wie Pressekonferenz, Personalschulung und PR Berater...) lohnt? 5%? 10%? 20%? Mehr als 20%?
Letzteres dürfte zutreffen. Lösung:

Pro 10 bisher vollzahlenden GuestChecks, die zukünftig mit Rabatt konsumieren

                                                 Bisher ohne Karte          Neu mit Karte
Umsatz                                                         800                           720
Warenaufwand                                             240                           240
Variabler Personalanteil                                  80                             80
Deckungsbeitrag                                          480                           400

Differenz Deckungsbeitrag             minus 80

Um diese 80 weniger Deckungsbeitrag auszugleichen, müssten noch weitere zwei GuestChecks zusätzlich verkauft werden, um nur schon wieder den ursprünglichen Deckungsbeitrag zu erzielen, erst danach lohnt sich diese Aktion. Also über 20% mehr Schnäppchenjàger-Gäste und noch keinen Franken mehr verdient...
Bei 20% variablem Personalaufwand sind es bereits über 25% mehr, denn je höher der im Prinzip fix bleibende - bisher variabel gerechnete - Kostenanteil ist, desto mehr zusätzliche Gäste müssten das Restaurant aufsuchen...
Bleibt zu hoffen, dass die zusätzlichen Gäste nicht plötzlich sprungfixe Kosten auslösen....
Bleibt auch zu hoffen, dass diese zusätzlichen Gäste im vollbesetzten Mittagsservice nicht einem Vollzahler den Platz wegnehmen...

Was geschieht, falls die erhöhte Gästefrequenz ausbleibt oder die bisherigen Kunden trotz Rabattkarte nicht entsprechend mehr konsumieren? Man wird dem Gast doch nicht von einem auf den anderen Tag seine Vorteile wegnehmen können.
Also Preise erhöhen, um damit die Schnäppchenjäger zu finanzieren? Genau das richtige Mittel zum Verscheuchen der vollzahlenden Gäste!
Den Ehefrau oder sich selbst um einige weitere Stunden Gratismitarbeit anfragen? Genau das richtige Mittel, um sie in die Hände eines Schnäppchenjägers zu treiben!
Was geschieht, falls weitere Banken oder Karteninstitute Ihren übrigen Gästen ebenfalls diesen Rabatt gewähren möchten? Dann wird wohl über kurz oder lang allen Gästen ein Rabatt eingeräumt...

„Une ufe oder obenabe“ sollte man deshalb besser weiterhin nur beim Jassen einsetzen und dafür alle seine Gäste zu einem einheitlichen, fairen Preis bedienen. Lieber heute nein sagen als später mit einer (vom Wirteverband wohl kaum unterstützten) Liberté, Fraternité, Egalité Revolution das Rad der Zeit zurückdrehen zu müssen.
Liberté: Keine Abhängigkeit von Karten besonders reicher, besonders gefrässiger oder besonders kaderiger Gäste.
Egalité: Alle Gäste zahlen gleich viel.
Fraternité: Als Branche zusammenhalten, „Just say no“!