1996 Hirse wird salonfähig

Die Hirse gilt bei unserer Nachkriegsgeneration als Brot der Armen, oder sie gehört zum Arsenal der Chörnlipicker. Auch bei den Japanern assen die Samurai Reis, während die Bauern sich mit Hirse begnügten.

Die Hirse wird salonfähig

Anlässlich der Hirsebreifahrt auf der Limmat wird in Zürich einmal im Jahr diesem Getreide gehuldigt. Gang und gäbe ist es bei uns aber nicht mehr, obwohl in einem Grimm's Märchen ein ganzes Dorf von süssem Hirsebrei überschwemmt wurde.
Spricht man hingegen von Couscous, so klingt das nicht mehr hausbacken, sondern fast exotisch. Rave hört sich schliesslich auch besser an als Tanzveranstaltung. In der Bibel aller Schweizer Kochbibeln hat Pauli der Hirse in der Warenkunde nur wenige Zeilen gewidmet, Couscous oder andere Zubereitungsvarianten finden sich dort überhaupt nicht, und deshalb ist es auch beim normalen Schweizer Koch nur selten im Angebot. Die Migros beispielsweise verkauft pro Jahr gerade 65 Tonnen Hirse und 140 Tonnen Couscous, jedoch 8000 Tonnen Spaghetti.
Bei unseren südlichen und westlichen Nachbarn jedoch ist Couscous "dank" Kolonialmachts-Vergangenheit eine Selbstverständlichkeit. In Paris zum Beispiel finden sich (wenn auch nicht gerade an den Champs) viele kleine Araber-Restaurants, die es in allen möglichen Variationen anbieten. Auch beim Einkauf im Supermarkt ist es selbstverständlich, von diversen Herstellern mindestens 3, wenn nicht gar 5 verschiedene Sorten davon im Gestell zu finden. Ein Feines, ein Mittelfeines und ein Grobes, ein Helles, ein Gelbes. Für Dosenöffner zusätzlich noch das ganze in Form von Fertigmahlzeiten. Hier in der Schweiz muss man in gewissen Läden allerdings noch damit rechnen, dass das Verkaufspersonal bei entsprechender Anfrage meint, Guguus sei etwas für die Spielwarenabteilung.
Ganz im Sinne von "Der arme Süden und der reiche Norden" ist das bei uns häufiger erhältliche, aus Hartweizengriess hergestellte Couscous feiner und leichter verdaulich als das in Afrika verwendete, auf Hirse basierende. Und so bürgert sich im sprachgebrauch immer mehr ein, nur noch Hartweizengriess Couscous zu nennen. Eines Tages werden wohl auch die Afrikaner nur noch die vom Norden exportierten Weizenüberschüsse verwenden wollen, und dafür dem Norden ihre Hirse als Tierfutter exportieren. Hirse und Armut waren früher auch im Kanton Zug ein Thema. In Cham fand jeweils ein Hirsekochen der jungen Mädchen statt. Die Beste erhielt rote Strümpfe, und die Hirse wurde an die Armen verschenkt.
Aber zurück zu den Kolonialmächten. In Genua ist das Essen punkto Couscous z.B. im Restaurant Arab Nabil ein Erlebnis, allerdings gibt es dort das Gericht nur mit Fleisch. Vegetarische Gelüste also vorher anmelden. Ohne Reservation hat man fast keine Chance auf einen Platz. Inklusive einer Flasche Wein kostet das Mahl zu zweit nur knapp 100'000 Lire. Der Chef, ein Tony Navaro auf marokkanisch, pilgert in weiten arabischen Hosen mit dem Schritt auf Knöchelhöhe von Tisch zu Tisch.
Vor dem Anti-Rassismus-Gesetz sagten einige Schweizer Gastgeber, sie möchten kein Couscous in ihr Angebot aufnehmen, sonst wäre ihr Lokal voll mit Gästen aus Afrika ... Aber Köche wie z.B. Marc Zimmermann haben vor einigen Jahren auch bei uns den Hirse-Trend eingeläutet. Couscous ist eine - je nach verwendetem Getreidetyp - schnell zubereitete Menubasis, die sich mit Gemüse, Fleisch, Geflügel oder Fisch kombinieren lässt. Zu Zimmermann's Zeiten als Küchenchef im Magic Grill wurde vor dem Anrichten bestimmt noch ein Schuss Sauerrahm unter das Getreide gemischt, dann ein paar Crevetten und Gemüse dazu, und fertig war ein kleiner Traum. Gerüchteweise hört man, er übernehme ein Restaurant im Zentrum Zürichs. Wir reservieren hiermit einen Platz.
Je nach arabischer oder nordafrikanischer Region, sollte Couscous möglichst weiss serviert werden, mit dem Schuss Rahm kommt man dem optisch entgegen. Mit zur Tradition kann gehören, dass ein grosser Eintopf zuerst für die Männer aufgestellt wird und dann auch bei den feinsten Adressen seinen "Mit-Essern" jeweils ein besonders feines Stück Fleisch aus dem Topf geangelt wird. Ein gelbes, mittleres Korn kommt in der Brasserie Lipp auf den Tisch, zusammen mit einer Riesenportion verschiedenster frischer Fische und etwas Gemüse. Und daneben ein Schäleli mit einem Zwiebelkompott, davon müsste man sich eine Extraportion für zu Hause einpacken lassen. Ein Bisschen weniger Fisch und dafür etwas mehr Gemüse könnte hier vielleicht nicht schaden. Die wohl reinste Couscous-Variation (allerdings auf Hartweizenbasis) im Raum Zürich, nämlich jene mit Lamm - von Vielen aus unerfindlichen Gründen und Vorurteilen gemieden -, wird im ägyptischen Cafe Palma an der Kreuzung Birmensdorfer-/Aemtlerstrasse serviert. Allerdings darf wegen einer uralten, von einem Amtsschimmel (hier wäre Kamel zutreffender) erlassenen Bestimmung noch kein Wein dazu ausgeschenkt werden. Dabei ist, Mohammed hin, Muslim her, ein kleines Glas Wein zum Couscous ideal, denn zuviel Flüssigkeit kann die Körner im Bauch weiter quellen lassen. Mittags ist neben anderen ägyptischen Spezialitäten nur eine reduzierte Couscous-Auswahl erhältlich, aber Abends kann auch ohne spezielle Aufführung auf der Karte z.B. eine Fisch-Variante bestellt werden. Um sich fast wie in Ägypten zu fühlen, empfiehlt sich als Vorspeise ein Hummus mit einem Fladenbrot.
Bei Mövenpick ist ein Glas Wein zum Couscous möglich, z.B. in der mediterranen Atmosphäre des Frascati in Zürich, allerdings nur in einer einzigen Variante.
Hirsegerichte sind auch eine ideale Sommerverpflegung, im Arabischen Tabouleh genannt. Das Getreide kochen, Gurken, Tomaten oder sonst ein Gemüse darunterziehen, Oliven und ein Hauch frische Pfefferminze dazu, abkühlen lassen, fertig.
Hirse soll auch gut für Haar, Fingernägel, Haut und vieles mehr sein. Im Warenhaus also statt im Parterre teure Tuben und Töpfchen grosser Marken auszuwählen, besser im Untergeschoss die Delikatessabteilung aufsuchen. Im Globus stehen 7 Hirse, Couscous und Tabouleh-Päckli im Gestell. Wer auch Nachts nicht ohne Hirse leben kann, dem sei ein Hirsekissen aus dem 3. Stock empfohlen.