2002 Buffet 8


Immaterielle Pauschalreiseschäden

«Artikel 5 der Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen ist dahin auszulegen, dass er dem Verbraucher grundsätzlich einen Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens verleiht, der auf der Nichterfüllung oder einer mangelhaften Erfüllung der eine Pauschalreise ausmachenden Leistungen beruht. » Ganz harmlos kommt der Satz daher, dabei steckt Zunder drin. Wir Menschen können einen immateriellen Schaden wegen unbefriedigenden Ferien einfangen. Es geht hier nicht um Bauchschmerzen wegen einer verdorbenem Eierspeise oder der Gutschrift, weil das Zimmer keinen Blick auf den nächsten Bauplatz erlaubte. Es geht um nicht konkret fassbare Schäden. Einen solchen Schaden können Ferienreisende nach der Heimkehr dem Reisebüro in Rechnung stellen. Vorerst nur in der EU, spätestens jedoch wenn EU Bürger bei sich zu Hause via Reisebüro Schweizer Veranstalter für einen solchen Schaden belangen, ist auch bei uns mit solchen Sitten zu rechnen. Klar, dass dann auch Schweizer ein solches Denken entwickeln werden.

Zwei bis vier von 1000 Passagieren beschweren sich jeweils bei den Fluggesellschaften, wie hoch ist die Reklamationsquote in der Gastronomie?

Wir gehen lustigen Zeiten entgegen. Es wird heiter werden, wenn ein unbefriedigender Besuch im Wirtshaus einen immateriellen Schaden mit sich bringen kann. Ein neues Tummelfeld für Anwaltsbüro Ed & Co. sowie Boomzeit für eine neue Versicherungspolice.

Immaterielle Printprodukteschäden?

Könnte schlussendlich auch das Lesen von Salz&Pfeffer oder dessen publizistischen Schwestern Salz&Technik oder Cigar immaterielle Schäden hinterlassen? Obwohl niemand gezwungen wird, das Heft zu kaufen. Ewiggestrige der Branche oder im Heft kritisierte würden nicht mehr strafrechtlich vorgehen wie die Hoteliers aus Scuol. Den Bezirksanwalt aus Chur würd’s wohl freuen, wenn er sich nicht damit befassen müsste, ob der Sikander von Bhicknapahari ein publizistischer Schwerverbrecher sei. Dafür würde das Hotel Conrad Satisfaktion wegen immateriellen Schadens und die damit verbundene schlaflose Nacht einklagen. Nichtraucher und die Anti-Cigar-Fraktion klagen den immateriellen Schaden ein, der ihnen beim Betrachten des Titelblattes von Cigar entstanden ist. Porno-Jäger würden jeden Flecken Haut in der Kioskauslage als Schaden gelten machen, dabei täten diese besser ihren eigenen Schaden mal grundsätzlich untersuchen lassen.

Beruhigend zu wissen, dass an der Uni Fribourg ein Rechtsprofessor dieses Urteil auch nicht so gut fand und die Studenten vor solchen Entwicklungen warnte. Die kommende Rechtsgelehrten-Generation wird deshalb etwas bessere Entscheidungen fällen.

Vom Tellerwäscher zum apokalyptischen Schreiber

Henry Darger schrieb den umfangreichsten Roman der Welt. 15145 Seiten mit dem Titel "The Story of the Vivian Girls in What is known as the Realms of the Unreal or the Glandelinian War Storm or the Glandico-Abbiennian Wars, as Caused by the Child Slave Rebellion". Er schrieb nicht nur diesen Roman, sondern illustrierte ihn mit rund 300 Bildern. Der Mann der unscheinbar in Chicago als Hilfsarbeiter jobte, muss in einer äussert seltsamen, für Shrinks unheimlich interessanten, Fantasiewelt gelebt haben. Einige der Bilder sind zur Zeit im Migros Museum für Gegenwartskunst ausgestellt. Eine Ausstellung, bei der Eltern ihre Kindern nicht gerne dabei haben. Was sollen sie nur auf die Frage „Mami, warum hät das Meitli es Schnäbeli“ antworten? Äusserst Blutig geht es auf einigen der Abbildungen zu und her, und eben, seine Heldinnen sind ein Bisschen seltsam gebaut. Die Heldinnen von Dargers Sage sind die sieben kindlichen Vivian-Schwestern, Prinzessinen von Abbienna. Eine etwas grauslige aber in Erinnerung bleibende Ausstellung über einen Teil des Werkes dieses obsessiven Mannes. Schaut man sich die Ausstellung an wünschte man, der Koch und Waffenläufer aus Bern hätte auch ein solches Ventil wie der Tellerwäscher aus Chicago gefunden.

Weniger apokalyptisch

In der Salz&Pfefferland Heimatstadt Winterthur wurde im Fotomuseum die Ausstellung «Kunstausstellung» von Hans-Peter Feldmann eröffnet. Sie zeigt nicht nur Fotos, sondern auch ein ganzes Sammelsurium von Dingen die über ein Leben hinweg gesammelt und schlussendlich mehrere Vitrinen füllen. Eine vielfältige Ausstellung in der zum Beispiel in einem Saal von 1 bis 100 Jahren 100 Portraits von Personen jeden Alters abgewandert werden können. Eine andere Wand ist den Kleidern einer Frau gewidmet und daneben ein Saal der die RAF Vergangenheit in Deutschland dokumentiert. Und irgendwo steht noch ein Mann mit Regenmantel in der Ecke. Geschichtsunterricht, Kunst, Witz, circa 30 Jahre Schaffenszeit des Künstlern komprimiert in einem Museum.

«Eine Wiese, wirklich grün, dichtes Gras, kein Unkraut, keine Blumen, saftige Wiese. Nicht sehr gross, vielleicht 20x20 Meter. Und drum herum ein Holzzaun. Die klassische Ausführung, senkrechte Holzlatten, oben angespitzt vielleicht 1,50 Meter hoch. Waagrechte Latten halten alles zusammen, an den Ecken jeweils ein Pfosten. Jenseits des Zaunes die gleiche Wiese, aber schon etwas weniger ideal. Hier und da ein Baum, ein Weg, dicke Steine, Häuser in der Ferne und so weiter, die Welt eben.

Und die Wiese innerhalb des Zaunes nennt man Kunst, und alles ausserhalb des Zaunes nennt man Welt. Und dann fällt plötzlich der Zaun um. Plötzlich ist das auch keine Kunst mehr, - oder die Kunst ist überall. Und Du hast dann auf einmal kein Problem mehr...» schrieb der Künstler einmal. Schön könnten Probleme so gelöst werden. Heute würde innerhalb des Zauns sofort ein Golfplatz geschaffen.