1996 BIO klar&wahr

3 Buchstaben steigern die Auflage des 'Blick', nämlich S und E und X. Ebenfalls mit 3 Buchstaben versuchen die Lebensmittelhändler seit einiger Zeit ihren Umsatz zu steigern, nämlich mit B und I und O.

Klar & wahr

Als Konsument sollte man sich nicht nur von der verkaufsfördernden Bezeichnung (ver)leiten lassen, denn der Teufel steckt oft im Kleingedruckten oder gar zwischen den Zeilen.
Gemäss Verpackungs-Deklaration der Pharmaindustrie ist ein bestimmtes Oestrogen, das viele Frauen ab einem gewissen Alter zu sich nehmen, ein Produkt natürlicher Herkunft. Das vertrauenerweckende "natürlich" steht in diesem Fall für ein Oestrogen, dass aus dem Urin von trächtigen Stuten gewonnen wird. Dieser ist zwar tatsächlich natürlich, die Gewinnung desselben hingegen weniger. Oder haben Sie schon mal einen Chemiker im weissen Schoss und mit Reagenzglas in der Hand auf der Wiese hinter einer Stute herlaufen sehen, um auf natürliche Weise dieses natürliche Produkt einzufangen? Wohl genauso "natürlich" wird die dazu notwendige Trächtigkeit der Stute herbeigeführt.
Vitamin E Kapseln, die wie glänzende Gummibärchen aussehen, wirken in ihrem frischen Grün besonders gesund. Wer jedoch genauer nachfragt wird draufkommen, dass diese hübschen Pillen-Hüllen aus Schlachtabfällen hergestellt werden. Wie heisst es doch in der Werbung? Fressen Sie die Packungsbeilage und schlagen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.

Beim Thema Ernährung wird Konsumenten, die auf Bio-Produkte umsteigen oft mit wachsendem Bewusstsein klar, dass nicht nur bei tierischen Produkten, sondern auch bei der Produktion und Verarbeitung von Milch und Ei Fragwürdiges geschieht. Unsere Kühe werden computergesteuert gefüttert, und in ihren auf riesiges Format hochgezüchteten Eutern könnte man mindestens soviel Silikon vermuten wie in den Brüsten von Brigitte Nielsen oder Dolly Buster. Irgendwo muss nun diese viele Milch hin, und ebenfalls in irgendwelche Produkte werden auch die heute von vielen Konsumenten gemiedenen Eier aus den Legefabriken verarbeitet. Wohl hofft der Konsument, dass im Reformhaus wirklich Bio-Milch und Bio-Freiland-Eier angeboten werden, aber Milch und Ei sind zusätzlich in unzähligen Fertig-Produkten mehr oder weniger versteckt enthalten. Im Fernsehen wurde gezeigt, wie Fabrikeier via Bauernhof zu Freilandeiern mutieren, so dass Misstrauen zu Recht angebracht scheint. Woher weiss der Käufer nun, welches Ei beispielsweise in welchen Teigwaren enthalten ist?

Aus Milch lässt sich Butter, und aus Butter später Doppelrahmglace herstellen. Wurde diese Glace nun aus Turbo-Kuh-Milch oder aus glücklicher Milch hergestellt? Weiss man bei unseren Butterbergen noch, welche Butter von welchen Kühen stammt?

Wer auf Fleisch verzichtet, wird auf die heute erhältlichen Fleischersatz-Produkte hingewiesen. Was steht dort im Kleingedruckten? Molke und Eiweisspulver. Stammt das das Eiweisspulver nun von Eiern aus Freilandhaltung oder von Eiern von mit Tiermehl, d.h. Schlachtabfällen, gefütterten Stangen-Hühnern und damit eigentlich indirekt doch wieder einem "Fleischprodukt"?

Vielen Fertiggerichten wird Milchpulver beigefügt, z. B. den Frischback-Gipfeli. Woher weiss der Konsument nun, ob das nun nicht etwa Milchpulver aus Tschernobyl-Zeiten ist? Schliesslich wird zurzeit auch Rindfleisch tiefgefroren, das später vielleicht in Form von Suppenwürfeln, Bouillonpulver oder Frischback-Gipfel-Zusatz wieder in die Nahrungsmittelkette gelangt. Und niemand wird mehr wissen, ob es sich nicht etwa um jenes Fleisch handelt, das der Käufer heute bewusst meidet.

Manche Menschen verzichten sogar ganz auf Milch und Ei. Genau wie für die Vegetarier empfiehlt es sich für diese, beim Einkauf eine Lupe mitzunehmen. Nur so kann das Kleingedruckte auf der Verpackung entziffert und damit festgestellt werden, ob in Fertigprodukten versteckte Tier-, Ei- oder Milchprodukte mitgekauft werden. Bei Teigwaren kommen da z.B. nur noch solche aus Hartweizen ins Körbchen, auf Glace, Käse, Jogurth und Butter wird von Veganern verzichtet zugunsten von Sojamilch, 'Sojarahm' und pflanzlicher Margarine. Allerdings: Was verstehen Sie unter pflanzlich? Im Inhaltsverzeichnis von 'Pflanzen Margarine' steht u.a. Buttermilch. Sicher lässt sich aus Butterblümchen keine Buttermilch herstellen, demnach scheint es für Grossverteiler eine pflanzliche Butter zu geben. Vielleicht kultiviert der Produzent einen Butterbaum?

Bei einigen Produkten muss in dubio contra stipulatoris gelten. Bei Milchsäure herrscht eine Unsicherheit, da diese sowohl pflanzlicher Natur als auch auf Milch basieren kann. Der Veganer möchte eine pflanzliche. Im Rüeblisaft von einem Grossverteiler oder Reformhaus findet sich auf dem Etikett die Bezeichnung "milchsaure Molke" (Molke war nach Tschernobyl der Cäsiumbealstung wegen in Verruf gekommen), beim anderen Grossverteiler steht nur "Milchsäure". Dabei haben alle den gleichen Lieferanten....

Ein kleiner Imbiss am Gourmet-Stand des Grossverteilers ist nach einem anstrengendem Einkauf genau richtig. Für den Vegetarier eine Portion Kartoffel-Gratin, das nach Auskunft der Verkäuferin kein Fleisch enthält. Aber schauen Sie sich den im gleichen Laden angebotenen Beutel mit demselben Produkt genauer an. Was steht dort im Kleingedruckten? Tierische Fette! Entweder verwendet die Gourmet-Abteilung nicht das gleiche Produkt oder wir sind wieder bei der Forderung, die schon im November im Salz&Pfeffer aufgestellt wurde: Warum ist es nicht möglich, mit einem gelben, grünen oder roten Punkt zu kennzeichnen, ob ein Produkt mit Fleisch, Milch oder Ei hergestellt wurde? Die Einstellung der Konsumenten zum Essen weist mindestens so viele Facetten auf wie die aus vorgenannten Farbkombinationen möglichen Varianten, und dieser Tatsache sollten die Produzenten Rechung tragen.

Auch der Kunde im Restaurant oder am Take-Away hätte Anrecht auf eine klar&wahr Deklaration. Eigentlich Aufgabe des Wirteverbandes. Wenn dieser heute nicht agiert, werden seine Mitglieder wohl später auf gesetzliche Vorschriften hin zum Thema 'Produkte-Deklaration auf der Speisekarte' aufheulen wie ein auf den Schwanz getretener Hund.