1992 Sana'a

EIN ABEND IN SANA'A, JEMEN

Zwei Flugstunden vom Saudiarabischen Pomp und Reichtum entfernt findet in der Jemenitischen Hauptstadt Sana'a das einfache arabische Leben statt.
Verlassen Sie für einmal den sicheren Hort internationaler Hotelketten und tauchen Sie für die Zeit eines Nachtessens in das Jemenitische Strassenleben ein, das von spuckenden und rotzenden Männern beherrscht wird, die auf dem Bauch wie ein Phallus-Symbol den obligaten Krummdolch, und auf dem Kopf kunstvoll geknotete Tcher tragen. Ihr nachfolgendes Menu wäre das Trauma von jedem Lebensmittelinspektor und der Traum von jedem Camel-Man.
Als Erstes kaufen Sie auf dem grossen Al Tahrir Square von einem auf dem Boden kauernden Strassenhändler einen direkt in der Glut gerösteten Maiskolben. Als "Ofen" dient entweder eine grosse Blechschachtel oder eine alte Auto-Felge. Geniessen Sie dieses unvergleichliche Aroma stehend und beobachten Sie dabei, wie sich ein paar Männer mit gezcktem Dolch und von Trommelwirbeln begleitet in Ekstase tanzen.
Legen Sie eventuell noch vorhandene Hemmungen ab und setzen Sie sich zu den Einheimischen in eines ihrer kleinen Restaurants. Das Angebot ist fast überall das Gleiche: Lamm vom Spiess (wie wir es hier als Döner Kebab kennen), gegrilltes Huhn, hartgekochte Eier und Fladenbrot, als Beilage Tomaten und Yogurth. Das Essen wird im Freien zubereitet (jedes Lokal ist gleichzeitig ein Take-away) und auf Blechtellern serviert; Sie werden sich dabei vorkommen wie Mike Tyson. Übrigens bewahrt ihr Tischnachbar nicht etwa einen Tischtennisball in seiner Backe auf, sondern er kaut grüne Blätter (ähnlich den Coca-Blättern in Südamerika), die in seiner einen Gesichtshälfte eine Kugel bilden. Verzichten Sie auf den Versuch es ihm gleichzutun und in Ihrer linken Backe eine solche Kugel deponieren und gleichzeitig in der rechten Ihr Essen kauen zu wollen. Denn mangels Besteck werden Sie sich darauf konzentrieren müssen, mit den Fingern mundgerechte Häppchen zu kneten. Dazu trinken Sie am besten Tee, im Wasser könnte Montezumas Rache lauern. Im Hotel würde ihr Nachtessen nun von sanfter Hintergrund-Musik begleitet. Hier hämmert eine weniger zarte Geräuschkulisse auf Ihr Trommelfell ein, bestehend aus dem Dauergehupe von der Strasse (Rotlichter, Stop- und Einbahntafeln dienen hier lediglich als Farbtupfer zu den sonst mehrheitlich in hellblau-, weiss- und beigetönen gehaltenen Gebäuden), dem scheppernden Gebet vom Lautsprecher der nahen Moschee, zusätzlich noch untermalt von der lauten Dauerberieselung durch arabische Fernsehsprecher. Erschrecken Sie nicht, wenn neben Ihnen ein mit Pistole oder Gewehr bewaffneter Mann Platz nimmt. Im Hotel wüssten Sie, dass es sich um eine Aufführung von 'Ali Baba und die 40 Räuber' handelt, hier ist es Teil des normalen Strassenbildes. Der Mokka am Schluss ist im Heimatland dieses Kaffees (richtig hiesse es Mokha) obligatorisch. Die Kosten für einen solchen Abend: Rund sFr. 3.- (auf dem Schwarzmarkt gewechselt) und danach eine Dusche.