2002 S+P 9

Sans domicile fixe

Der Milchsee ertrinkt im Liquiditäts-Schlamassel. Dieses Desaster mit dem SAir Grounding zu vergleichen, ist jedoch gar weit hergeholt. Die Wurzeln der Milchprobleme liegen einiges länger zurück, hier kann für einmal kein 11. September als Entschuldigung herbeigerufen werden.

Die hochgezüchteten Milchkühe haben in letzter Zeit nicht einfach doppelt so grosse Euter entwickelt und den Markt durcheinander gewirbelt. Viel grösser als heute können diese Euter schon rein aus anatomischen Gründen gar nicht mehr werden. Dauernd auf den Zitzen herumstehen, würde weh tun. Eine Lösung wäre, den Milchbeutel Gentechnologisch auf den Rücken zu verlegen, unsere Kühe würden dem Dromedar ähnlich. Ein Thema für die Tourismusförderung.

Auch die Konsumenten haben nicht einfach den Konsum von Milchprodukten eingestellt. Die staatlich gelenkte Agro-Wirtschaft bestimmt Kontingentshöhen und damit Viehbestände. In unserer Milchwirtschaft lohnte es sich, die Milch der Kuh abzuliefern, dafür Geld zu kassieren um danach für weniger Geld mit Milchpulver die Kälber grosszuziehen. Solcher Irrsinn musste auch in der reichsten Nation irgendwann zum Fiasko führen.

Die Schweiz wäre landschaftlich wie auch finanziell prädestiniert, den Weg weg von der Massenproduktion, hin zu einem ökologisch korrekten Umgang mit Tieren, zu gehen. Aber warum finden Restaurations-Betriebe, die gerne konsequent auf Bio-Produkte setzen möchten, manchmal kaum genügend Rohstoff für die Küche? Roger Gloor mit seiner Gastronomie im Trend Hotel Regensdorf, könnte ein Lied davon singen.

Ebenso wir Konsumenten. Wie häufig sind die Bio-Freiland-Eier ausverkauft und wenn’s gut geht, finden sich Bodenhaltungseier im Gestell?

Das Fusionsgebilde SDF Swiss Diary Food fällt auseinander, Aebis Toni-Reklame bleibt als nette Erinnerung. Die Konzernzentrale ist in Kürze SDF, sans domicile fixe. In Bern werden sich einige am Kopf kratzen und ein Buch zum Thema Marktwirtschaft lesen.

Vive la France?

Der Französische Klo Vergleich der letzten Nummer kam nicht überall gut an. Frankreich habe auch moderneres als das Loch-im-Boden-Klo zu bieten. Stimmt. Entschuldigung. Seit einem Jahr den TGV-Bahnhof in Avignon zum Beispiel. Sieht aus und wirkt wie ein Flughafen. Die Mietwagenfirmen sind auf dem gleichen Gelände direkt vom Zug aus erreichbar. Beim Abgeben des Wagens zeigt sich jedoch, wie die Grande Nation von Ausländischem nicht sehr angetan ist.

Mietwagen sollten vollgetankt zurückgebracht werden. Freundlicherweise wies auch der Vermieter bei Europcar darauf hin, er würde sonst das Benzin zu ihren Tarifen verrechnen. Und die liegen weit über den ohnehin nicht gerade billigen Französischen Benzinpreisen.

Wenige hundert Meter vom Bahnhof entfernt steht eine Tankstelle. Aber als Ausländer ist Auftanken nicht möglich. Der Apparat will weder Noten noch Kreditkarten noch die sonst auch bei französischen Bankautomaten benützbare EC-Karte. Carte Blanche und sonst geht nichts an der Zapfsäule. Weit und breit kein Oktankellner der weiterhelfen könnte. Wieviele Prozent der Automieter sind Franzosen und wieviele Ausländer?

Zurück in die Stadt fahren, auftanken und hoffen, der TGV komme nicht allzupünktlich, bleibt die einzige Alternative zum überteuerten Sprit der Autovermieterin. Nach einem Ausflug durch Vaucluse und Luberon, vorbei an Schildern wie Cavaillon oder Perigord, hinterlässt ein solcher Umgang mit Ausländern keinen sauberen Abgang.

Grosseres Geschütz

Seit der letzten Salz&Pfeffer-Ausgabe haben die Basler Baizer noch einen Zacken zugelegt. In der Diskussion um die Änderung des Wirtegesetzes und insbesondere auch um die Höhe der Patentabgaben wurde der nächst höhere Gang eingelegt. Die Baizer warten nun nicht mehr nur auf eine Gesetzesänderung. Mit einer Klage in Millionenhöhe soll für Rückerstattung der in der Vergangenheit zu hohen Gebühren geklagt werden. Bei solchen Beträgen wird die mit anfänglich Fr. 150'000.- bestückte Kriegskasse wohl schon bald um die nächsten Fr. 100‘000.- aufgestockt werden müssen. Falls die damit durchkommen, ist der Return on Investment im früheren DotCom Bereich anzusiedeln. Basler Baizer Präsident Sepp Schüpfer wird wohl hailig gesprochen und mindestens mit Gambrinus gleichziehen können.

Sehr nett formuliert

Die NZZ führt eine feine Feder. Findet im Hause einer der treuesten Leserinnen von Salz&Pfeffer an der Bahnhofstrasse ein Austern-Wettöffnen statt, so umschreibt sie das Publikumsaufkommen mit «Vor einem schmalen Publikum...». Uneingeweihte glauben wohl, vom Austernessen könne man dick werden.

Im Hinblick auf die Publikation der neuesten Leserzahlen lehrte uns die NZZ eine weitere nette Umschreibung von journalistischen Ungepflogenheiten.

«Die osmotische Beziehung zwischen redaktionellen Texten und Anzeigen ist mit ein Grund für den relativ grossen Erfolg des Magazins im Inseratebereich. Die Krise der Werbebranche trifft Bolero besonders hart». Harte Zeiten für die Frauenzeitschriften. Meyer’s Modeblatt fand nicht einmal für einen Franken einen Käufer, und Bolero leidet an der osmotischen Beziehung zwischen Text und Inserat.

Magazine mit der Hauptzielgruppe Frauen zu produzieren, scheint heute ein hartes Pflaster zu sein. Wie viel näher kann ein Magazin, dass schon in wirtschaftlichen guten Zeiten eine redaktionelle Nähe zu den Inserenten pflegte, noch zum Geld hin rücken. Noch näher geht’s kaum mehr, sonst würden Inserat und Text deckungsgleich. Die lieben Inserenten möchten jedoch die Leser im Glauben lassen, der Text über ihre Produkten sei eine unabhängige journalistische Leistung.

Auch wir werden jeweils gebeten, einen Text und ein Föteli im redaktionellen Teil abzudrucken, als Lohn für diese journalistisch ausserordentlich anspruchsvolle Tätigkeit winke vielleicht ein Inserat.

In St. Moritz prangerte Bundesrat Villiger anlässlich der Jahreskonferenz der Verleger den Rudel-Journalismus, der die Scheinrealität in den Archiven zur historischen Realität werden lasse, an. Schade will er zurücktreten. Ein Thema für die nächste Ansprache zum Thema Presse wäre das Stichwort Putana Editoriale. Wie soll eine Publikation seriös recherchieren und arbeiten, wenn sie sich den Inserenten verkauft?

Just say no!

Im Salz&Pfefferland arbeiten keine Putana Editoriales, noch bestimmen wir selbst, was wir wie schreiben möchten. Klar kostet uns dies dann und wann ein Inserat, aber die Abonnenten danken es uns. Schliesslich bezahlen sie ja mit und erwarten deshalb zu Recht keine Auftragsschreibe für Inserenten. Auch unsere MACH Basic Zahlen zeigen im abgelaufenen Jahr insbesondere eine erhöhte Anzahl Leserinnen. Schön zu sehen, dass wir mit unserer Einstellung richtig liegen.

Juristisch begleitet

Kritisch bleiben, und auch in schwierigen Zeiten nicht nachgeben, ist nicht einfach. Während im Schweizer Fernsehen ein Film die längst überfällige Rehabilitierung von Meier 19 dokumentiert, spricht auf einem anderen Kanal Peter Hartmeier von der tamedia über die Presse, die kritischer werden und mehr Distanz haben müsse. Er kritisierte dabei auch sich selbst, weil er sich früher durch sehr weltgewandte Wirtschaftsbosse vom eigentlichen Problem ablenken liess. Im Nachhinein und vom hohen Chefsessel aus, lässt sich dies leicht sagen.

Dr. Peter Studer, seines Zeichens Präsident des Presserates, beriet die Meier 19 Filmemacher. Allein der Umstand, dass die Berichterstattung über diesen Skandal auch heute noch nur mit juristischem Beistand möglich ist, zeigt, mit welchen Zwängen eine kritische Reportage leben muss. Wer kann sich schon bei jeder kritischen Zeile gleich den Anwalt dazu leisten? Peter Studer ist für seine Arbeit bei Meier 19 ein Kränzlein zu winden. Die Wahrheit kam durch. Ex-Kripo-Chef Dr. Walter Hubatka wird am Film keine Freude gehabt haben. Die Zeiten der Sehr geehrten Herren sind vorbei.

Convenience oder nicht?

Noch kann auf www.salz-pfeffer.ch angeklickt werden, ob wir Konsumenten glauben, dass 44 Prozent unserer Gastgeber keine Convenience einsetzen. Während der Reportage über das Spice-Gourmet für die letzte Salz&Pfeffer-Nummer fragten wir auch bei Meera Drelich nach. Glaubt sie einer solchen Zahl? Als studierte Biochemikerin dürften ihr Statistiken ein Begriff sein. Sie sagte nein und verweist auf ihre Erfahrungen in den Grossverteilern für die Gastronomie.

Meera Drelich ist eine Quereinsteigerin. Eine, die von liberalisierten Gastro-Gesetzen profitiert. Viel in anderen Betrieben essen gehen, war einer der Pfeiler um schlussendlich selbst einen Betrieb zu eröffnen. Bei ihrem 20-Platz-Restaurant ist der Einkauf noch eine sehr persönliche Angelegenheit, fast schon Privatsphäre. Irgendwann während des Gesprächs erzählt sie von ihrer Erfahrung beim Einkauf im Engros-Verteiler. Während sie hauptsächlich Frischwaren einkauft, füllten die anderen reihum ihre Wägelis mit Convenience-Produkten. Im Gespräch bemerkten wir, wie ungerecht ihr der Markt vorkommen muss. Der brutale Markt der hungrigen ist nicht bereit, für das Mittagsmenu aus von Grund auf gekochten möglichst frischen Zutaten mehr zu bezahlen, als beim Convenience-Nachbar.

Als Biochemikerin weiss sie zudem auch bestens über das Thema Nährwert Bescheid. Sie kann locker vom Hocker einen Vortrag über ausbalanciertes Essen halten, oder erklären, wie Vegis trotz fleischlosem Leben genügend Eiweiss tanken. Sie spricht von ihren Fleisch und Seafood Überlegungen und weshalb ihr Betrieb lediglich einen Tiefkühlschrank in Haushaltgrösse benötigt. Man möchte sie umarmen weil es so schön ist zuzuhören. Statt höheren Menupreisen erhält Meera Drelich jedoch einen ganz anderen Return on Investment. Seit sie ein Restaurant betreibe, sei ihr Freundeskreis mächtig angewachsen. Nicht einfach bekannte, sondern Freunde. Liebe geht durch den Magen, Freundschaft anscheinend auch.

Schwören Sie!

In den USA mussten die Firmenbosse auf ihre Bilanzen schwören. Schwören, dass alles richtig sei was dort drin stehe. Schwören und hoffen, dass auch auf Ebene der Briefmarkenkasse jede Buchung korrekt erfolgte und keine Privatpost die Firmenrechnung belaste. Schwören und hoffen, dass in der ganzen Buchungsreihe eines Beleges von der Tochtergesellschaft in Tohuwabohu bis hinauf zur konsolidierten Konzernbilanz für die New Yorker Börse, sich kein Bewertungsfehler einschleicht. Schwören, dass jede Zahl stimmt. Schwören so wahr ihnen Gott helfe. Einige taten es nicht. Offensichtlich hat Gott ihnen vorher nicht den richtigen Weg gewiesen.

Beim nächsten Besuch im Restaurant würden auch wir gerne schwören lassen.

Schwören Sie, dass es bei allem was serviert wird, mit rechten Dingen zu und her gegangen ist!

Schwören Sie, dass kein Eiweisspulver aus eine China-Batterie in der fertig eingekauften Suppe enthalten ist!

Schwören Sie, dass dem Schwein kein Altöl verfüttert wurde!

Schwören Sie, dass das Milchpulver im Fertigkartoffelstock nicht aus der Tschernobylzeit stammt und nun sukzessive in den Ernährungskreislauf Einlass findet!

Schwören Sie, dass ich auch nach dem Verzehr des Hormongeladenen Fleisches weiterhin Kinder zeugen kann!

Schwören Sie, dass bei mir nach dem Verzehr Ihrer Früchte kein Geigerzähler Radioaktivität anzeigt!

Schwören Sie, dass das Kissen auf dem ich sitze nicht von Kinderhand genäht und der Teppich nicht von Kinderhand geknüpft wurde!

Schwören Sie, dass das Holz der Ess-Stäbchen nicht Waldrodungen entstammt, bei denen Tiere oder Indianerstämme ihr angestammtes Gebiet verlieren!

Schwören Sie, dass in der Polenta keine Gen-Tech-Mais-Spuren enthalten sind!

Schwören Sie, dass sämtliche Manipulationen am Wein offengelegt wurden!

Kurz, schwören Sie, dass uns nach dem Verzehr der von Ihnen servierten Mahlzeit weder kurz- noch langfristig ein Schaden entsteht!

Aufmerksame Salz&Pfefferstreuer würden «auch kein immaterieller» ergänzen.