2002 S + P 7

Zwei Frauen zum Thema embonpoint

Einige Zeilen von Madame Tabasco in S&P 5/2002 liessen zu Hause keine Freude aufkommen. Nicht einverstanden mit Madame ist meine Frau zur Bemerkung über den kleinen embonpoint von N. Mahlknecht, Gastgeber in der Fischstube Zürihorn. Jo-Jo-Effekt hin oder her, sie findet, der wienerische Charme, von dem das Lokal und seine Gäste profitieren, habe darunter nicht gelitten. Im Gegenteil, meint sie, zeige ein gewisser Hüftschwung doch, dass dieser Mann in der Gastronomie genau am richtigen Platz sei, weil er sie offensichtlich liebe. Genauso wie sie selbst das charmante „Grüss Gott gnädige Frau, Verehrung“ nicht missen möchte. Damit zu Hause wieder Frieden einkehrt, hier also die gewünschte kleine Ergänzung.

Damit ich dies hier schreibe wurde ich weder mit zwei Flaschen Wein und einem Stück Fleisch noch mit anderen Naturalien belohnt.

Der Abgrund ist Alltag

Ein Ausspruch des Soziologieprofessors Kurt Imhof in einer Gesprächsrunde von Tele-Züri blieb im Gedächtnis hängen. «Der Abgrund ist Alltag» war sein Kommentar zu Thema Ringier. Gelder für Stories fliessen lassen, gehört sich nicht. Auch Konzernjournalismus wurde als Pfui deklariert. Ist es Zufall, dass verschiedene Chef-Redaktoren im gleichen Verlagshaus jeweils ins gleiche Horn blasen, oder ist die Unabhängigkeit der Redaktionen in Gefahr? Unklar war, ob der Zufall Frank A. Meyer heisst. Michael Ringier versprach anlässlich seiner Pressekonferenz Besserung.

Was das rote Büchlein aus dem Hause Ringier betrifft, heisst der Zufall nicht FAM sondern Urs Heller.

Am 1. Juli war im Gupf in Rehetobel Pressekonferenz angesagt. Der Ritzi-Nachfolger von der Dufourstrasse himself war anwesend. Da wollte kein Salz&Pfeffer-Korn die nette Einladung stören. Wir wollten nicht unsere unanständigen Fragen in den edlen PR-Anlass einbringen. Fragen über die Schlussabrechnung in Mesikon oder auch sonst Themen, die von Interesse sein könnten. Themen die nicht in der Pressemappe mit fertig vorgeschriebenem Text und passenden Bildern drin stehen. Solche Unterlagen ersparen selber schreiben und erlauben den geladenen Journalisten, gleich zum Essen über zu gehen. Danach zwei Flaschen Wein und ein Stück Fleisch zum mitnehmen, das war der Natural-Lohn für die brotlose Zunft der Schreiberlinge.

Hat einer der Beschenkten die Naturalien im Verlag abgeliefert? Und falls ja, würden die Buchhalter den Wein als flüssige Mittel verbuchen, als Ersatz für das nicht platzierte Inserat oder als Erlös für ein paar nette Zeilen?

Eine andere Sicht der Dinge

Eine Journalistin scherte aus. Die Geschenke und der Anlass wurden ordentlich zerzaust. Monika Egli ohne Doppel-G heisst die kritische Schreiberin, die im St. Galler Tagblatt fast Salz&Pfeffermässig Klartext schrieb. Schön, wenn auch andere fragen, ob ein Journalist der mit vollem Bauch, zwei Flaschen Wein und einem Stück Fleisch nach Hause fährt, eine Gastro-Kritik formuliert. Willi Näfs darauffolgender Leserbrief rundete die Geschichte ab. Urs Heller hat unseres Wissens noch nicht kritisch über die Bescherung berichtet. Schliesslich muss er dafür besorgt sein, dass von ihm erkorene Nachwuchsstars printmässig wirklich als Stars bejubelt werden. Auch das Tagi-Magi hat Urs Hellers Büchlein bewertet: «Seine Bewertungen sind eindeutig monopolistisch und stützen ein überkommenes Bild davon, wie eine perfekte Mahlzeit abzulaufen hat.»

Ist Urs Heller eingeschlafen?

Weil am 1. Juli noch klar war, wie im Hause Ringier GaultMillau-Favoriten zu behandeln sind, konnte sich der auch noch als Verlagsleiter Schweizer Illustrierte tätige dem Gupf-Anlasses mit geschlossenen Augen, je nach Interpretation einem Schläfchen, andere glauben tiefster Konzentration, hingeben. Aber was nun? Was nachdem der Ringiersche Super Gau mit nachfolgendem Katzengejammer lanciert ist? Darf nun GaultMillau Chefredaktor Urs Heller darauf zählen, dass Glückspost, Schweizer Illustrierte, Cash oder gar der Sonntags-Blick in Gau&Miau Sinne berichten?

Der andere Geldfluss

Zahlungen für eine Story sind das eine, Zahlungen für wohlwollende Artikel das andere. Inzwischen ist ein Verlag dazu übergegangen, seine Käuflichkeit ganz offen einzugestehen. Im März stiess unsere Schwester Salz&Technik auf Media-Daten, die einem Verleger der klassischen Schule das Grauen einflössen. Qualisan Institut GmbH heisst die Verlegerin. In deren Media Daten steht, ihr Produkt werde zu 80 Prozent gratis verteilt. Gratis gegenüber dem Leser reicht den Verlegern nicht. Auch der Inserent erhalte gratis noch das anderthalbfache der Inseratefläche in Form von Textseiten. Klarer kann’s nicht mehr formuliert werden. Der Inserent schreibt gleich was er über sich lesen möchte, der Verlag spart sich den Journi und verteilt das Blatt gleich gratis weiter. Wer liest denn sowas?

Bereits wieder weg

Was andere im Geheimen mit den Kunden vereinbaren, steht bei jener Verlegerin bereits als Offerte in den Geschäftskonditionen. Kein Heft kann einerseits gratis verteilt werden und andererseits dem Druck der Inserenten auf wohlwollende Zeilen widerstehen? Unabhängig bleiben heisst, von beiden Seiten bezahlt werden. Die Leser erhalten journalistische Texte, die Werber mündige Leser. Als wir Ende Juli feststellen wollten, ob diese Media-Daten auch für das kommende Jahr so formuliert bleiben, war sowohl unter der Telefon-Nummer wie auch unter der Internet-Adresse www.swisspass.ch kein Anschluss mehr vorhanden. Haben die sich vor lauter Gratis selbst aus dem Markt katapultiert? Leicht beruhigend.

Was Hänschen nicht lernt...

Was bei den Printmedien für Erwachsene sukzessive öffentlich Einzug hält, ist bei den Jugendmagazinen bereits day-to-day-Tatsache. In allen In- und möchte-gern-In-Places liegen haufenweise Gratismagazine auf. Sie heissen Forecast, Trend Magazin, Faces, Kult, Party News oder Seventh Sky. Inhalt: Ausgehtipps, Play-Station-Reports, Föteli und Gesabber. Markus Tofalo, der Chefredaktor des Trend Magazin liess sich in Facts mit dem Ausspruch, der potentiellen Werbung zuliebe verzichten sie auf allzu kritisches, zitieren. Wer um himmelherrgottswillen liest denn sowas. Was sind das für Leser, die sich solches antun. Und was sind das für Inserenten die solches unterstützen? Produzieren willenlose, unkritische Konsumenten und glauben, das sei das ultimative Nirwana der Konsumgesellschaft?

Markus Tofalo müsste die hausinterne Philosophie seines Verlages lesen. Aber eben, die Pisa-Studie hat festgestellt, dass das mit dem Lesen und Verstehen so eine Sache sei. «Trend ist glaubwürdig. Trend-Redaktoren sind im Alter der Zielgruppe und berichten nicht weltfremd und belehrend, sondern stellen sich mit den Lesern gleich. Wichtig ist dabei vor allem die Glaubwürdigkeit bei der Zielgruppe.» Will die Zielgruppe der Werbung zuliebe keine kritischen Zeilen? Entweder sind Markus‘ Tofalos Zielgruppen lauter doofies, oder Markus liegt totalo neben dem nach aussen kommunizierten Wunschbild.

Wer zuviel PR-Postillen mit teflonmässiger Schreibe liest, dem muss über kurz oder lang das Hirn implodieren. Lange bevor die Coci-Linie die Nase zerstört und sich ersten Wahnvorstellungen entwickeln, lange bevor Party-Pillen die Jugendlichkeit killen, lange vorher werden die Leser von Käse-Blättlis inhaltslose, Emmentalergrosse Löcher im Hirn aufweisen. Fragt sich, wem die Inserenten dann ihre Produkte aufschnorren möchten. Ein Hirn ohne Inhalt eignet sich schlecht, um später als Lohnempfänger genügend Geld für einen ordentlichen Beitrag zur Konsumgesellschaft beizutragen.

Was heisst unabhängig

Annemarie Wildeisens neues Magazin sei nach dem Tod von Chuchi, dem Rezeptheftli in dessen Diensten Annemarie Wildeisen früher stand, die grösste unabhängige Kochzeitschrift. So steht es in einer Medienmitteilung aus dem Aargau. Was bitte heisst unabhängig? Hat Annemarie Wildeisen ihr Erspartes zusammengekratzt, einige Redaktoren engagiert, ein Sales-Team aufgebaut, eine Nullnummer produziert und die ersten 80'000 Hefte drucken lassen? Das wäre unabhängig. Hatsieabernicht.

Abhängig ist das Magazin, falls Annemarie Wildeisen mit ihrem Freund Peter Wanner Mittagessen war, und ihm von ihrem Projekt erzählte. Und weil Peter Wanner über einen Verlag und das notwendige Kleingeld verfügt, erfüllt er ihren Wunsch nach einem weiteren Rezeptheftli. Salz&Pfeffersteuer erfüllen ihren Frauen den Wunsch einer Ergänzung zu Madame Tabascos Zeilen und Peter Wanner erfüllt Frau Wildeisens Wunsch nach einem Kochheftli. Schliesslich schrieb sein Verlag in 2001 mit knapp 28.5 Millionen Cash Flow ein Super-Ergebnis. Und während im laufenden Jahr in der Redaktion der Tageszeitung Stellen abgebaut werden und das bisherige Kochheft des Hauses namens Marmite im Sommer noch 48 Seiten umfasste, wird die Kochbuchautorin mit allen Mitteln eines Gross-Verlages gepusht. Zum Beispiel mit einer Kochsendung im verlagseigenen TV-Sender. Könnte sich Annemarie Wildeisen als unabhängige mit ihrem Ersparten einen solchen Auftritt leisten?

Hätte sie als unabhängige die Möglichkeit, ihren Werbekunden Productplacement im TV-Sender des Limmat-Berlusconi anzubieten? Die Teigrolle per Äxgüsi 30 Sekunden am TV zeigen und das ganze später in Kombination mit einem Hinweis im Heft? Wohl kaum. Annemarie Wildeisens Heftli ist etwa gleich eingebunden in einen Gross-Verlag wie Ringiers Al Dente das gratis der Schweizer Illustrierten beiliegt und nebenbei noch einen Betti Bossi TV-Auftritt erhält. Ringier pflegt die Wahrheit zu sagen, deshalb wird Ringier nie behaupten, Al Dente sei unabhängig.

Fertig ad-interim

Im Mai tagte der Verwaltungsrat der Edition Salz&Pfeffer und fragte Andrin C. Willy, ob er die Verantwortung für die Redaktion übernehme. Er sagte ja und wird in Zukunft als Redaktionsregisseur für die Buchstaben im Heft verantwortlich zeichnen. Andrin zu beschreiben ist wohl kaum nötig, seine Texte sprechen für ihn. Er ist gut, er isst gut, er tut gut und wenn er nicht schreibt, greift er zur Gitarre. Give him a Hand.

Auch sonst haben wir unserem Magazin auf dem Papier und vielleicht auch im realen Leben eine ordentliche Organisation verpasst. Romeo Brodmann ist seit Anfang des Jahres als Verlagsleiter, Claudia Jud seit kurzem als Product Managerin im Einsatz. Wenn das so weitergeht, wird aus dem Winterthurer Chaotikon noch ein wohl organisiertes Unternehmen.