1995 Im Verhältnis wenig indisches

Ginge es prozentual nach dem Anteil an der Weltbevölkerung, müsste es in der Schweiz etwa 200 davon geben. Würden die tamilischen Flüchlinge heute genauso handeln wie vor 25 Jahren ihre vietnamesischen Vorgänger, müssten hier sogar deren 400 davon existieren. Indessen gibt es bestimmt an die 300 chinesische, aber kaum 50 indische Restaurants bei uns in der Schweiz. Woran mag das liegen?

Haben die Schweizer Angst?

Zum Beispiel davor, Hare-Krishna-bekehrt aus dem indischen Restaurant zu kommen? Denn seine Anhänger oder die anderer Yogis führen echte indische Spezialitäten in ihrem Angebot. Ansonsten findet die indische Küche bis heute hauptsächlich in Form von Riz-Casimir (ist indonesisch!) oder allenfalls mal einer Spezialitätenwoche mit einem King of Curry statt.
Haben die Schweizer-Gaumen Angst vor einer scharfen Küche? Wohl kaum, denn sonst würden thailändische Restaurants keine Rindfleischsalate mit ganzen Chilischoten oder Green Currys und Ähnliches anbieten.
Haben die Schweizer vielleicht Angst, zwischendurch mal mit den Fingern der rechten Hand essen zu müssen statt mit Messer und Gabel und stattdessen ? Wohl kaum, gehört es doch heute fast schon zum Stolz eines Heranwachsenden, mit Stäbli umgehen zu können. Und ausserdem spricht doch bereits alle Gastro-Welt von Fingerfood.
Woran liegt es dann? Vielleicht hat sich ein Magazin namens Salz&Pfeffer noch nie zu diesem Thema geäussert und damit die Lust auf eine "neue" Geschmacksrichtung geweckt? Oder ist zuwenig bekannt, dass gut gewürzt nicht unbedingt auch scharf sein muss (aber etwas Schärfe bitte trotzdem, schliesslich soll es ja indisch sein und nicht ein Curryrahmsösseli fürs Altersheim). Vielleicht liegt es auch am Nicht-Wissen, wie die indische Küche vom Lebens-Stil bis zur Gaumenfreude ein ganzes Spektrum abdeckt. Auch Schweizer-Köche sollten zwischendurch ein Auge auf die indische Küche werfen, es könnte daraus eine interessante Ergänzung zu den gängigen asiatischen Gerichten resultieren.
Zum Beispiel für Vegetarier. Es ist kein Zufall, dass eines der bekanntesten Restaurants für Vegetarisches, das Hiltl-Vegi in Zürich, schon seit ewig indisches anbietet.
Wenn der Trend anhält, dass bald einmal 1/5 der Bevölkerung fleischlos glücklich werden möchte, dürfte ein Gemüseteller allein langfristig zuwenig Abwechslung bieten. So wie eine Spring-Roll oder ein Nasi-Goreng heute ganz selbstverständlich auf der Karte vieler Restaurants steht, wird vielleicht schon bald auch ein indisches Somoza ebenso selbstverständlich angeboten werden. Die riesige, weit über Aromat und Salz&Pfeffer-Streuer hinausreichende Gewürzpalette der indischen Küche kann das Fleisch gut ersetzen und bietet darüberhinaus noch viel mehr. Angefangen beim speziellen Basmati-Reis als Beilage bis hin zu den verschiedensten hocharomatischen Zutaten, die das Essen zur Freude machen. Kleinigkeiten wie z.B. ein Zimtstengel und Gewürznelken, die in einem einfachen Reis/Gelberbs-Gemisch (Kichiri) gekocht, aus Grundnahrungsmitteln luxuriös anmutende Chörnlipickerfreuden werden lassen.
Oder gebraten/gedünstetes Gemüse (Bhaji), mit einem nach Geheimrezept selbst gemischten oder gekauften Garam Massala und Kurkuma gewürzt, sozusagen das Pendant zum chinesischen Chop-Suey.
Statt Fleischspiessli ein Gemüse-Kebab. Solches dürfte die festgefahrenen Vegi-Menu-Varianten erfreulich ergänzen. Vieles lässt sich gut vorproduzieren und einiges bereits vorgefertigt einkaufen. Zum Beispiel Somozas. Ein oder zwei solcher Teigtäschli gefüllt mit was auch immer und dazu ein grüner Salat (aber bitte nicht mit French-Dressing, sondern mit einer rassigen, eher italienisch angehauchten Variante). Et voilà, das Menu eins einmal anders.
Eines der wenigen indischen Restaurants in Zürich bietet als Mittags-Menu für Fr. 15.- eine indische Variante der Pizza Calzone an: Gefülltes Fladenbrot (stuffed Paratah) kennt jeder Inder. Weshalb also nicht mit einem prall gefüllten Fladenbrot die Schwellenangst der Schweizer senken, hat sich da wohl der Küchenchef gefragt.
Einfaches wie ein leicht gesalzenes Yogurth mit feingehackten Gurken als Beilage zu einem pikanten Gemüse taucht den Gaumen in ein Wechselbad der Geschmacksempfindungen. Ein Löffelchen Chutney dazu, und schon könnten die nächsten Zeilen nur davon handeln. Denn Chutney gibt es mehr als nur die generell bekannte Variante Mango-Chutney. Statt Chutney kämen auch die etwas schärferen Pickles in Frage, z.B. Lime-Pickles.
Indische Küche ist auch nicht einfach immer ein und dieselbe Curry-Mischung. Falls Sie die fertige Mischung lieber kaufen statt z.B. aus Kreuzkümmelsamen, Chilipulver, Kurkuma, Koriander , Kardamom, Zimt, Gewürznelken und Pfefferkörnern eine eigene zu produzieren, sollten Sie mehrere Mischungen ausprobieren. Nehmen Sie ein dunkles Curry-Pulver z.B. zu einem Rindfleisch, ein fruchtig-leichtes, helles, zu einem Fisch, zu Eier oder Gemüse. Mit etwas Tamarindenmus, Curry und Zucker lasst sich eine indische Variante von Sweet & Sour herstellen.
Einige Leser werden einwenden, die indische Küche sei zu schwer und deshalb nicht zeitgemäss. Da sei viel von Oel und eingesottener Butter die Rede, die geraffelte Kokosnuss im Curry gar liesse Gäste reihenweise mit bedenklichen Cholesterinwerten nach Appenzell zur Kur und Gault&Millau Punkten fahren... Vielleicht, aber weshalb den vielen regionalen Varianten der indischen Küche nicht einfach noch eine kalorienbewusste anfügen? Z.B. mit einem sparsamen Fetteinsatz beim einfachen Bölleschweize, oder Chapatis statt dem schwereren Paratha. Aber eine grosse Bitte. Bei aller Kalorienbewusstheit macht bitte keine Konzessionen bei den Desserts! Eine Kalorienbombe wie etwa ein Halwa (z:B. Kichererbsen oder Rüebli püriert, mit Safran, Milch und Honig gekocht, reduziert in Butter geröstet, und mit Rosinen garniert) vielleicht sogar zusammen mit einem mit Butter hergestellten Stück Fladenbrot, 'das mues eifach fuere'.
Allen Schweizer Restaurateuren, denen diese Zeilen Lust auf mehr bereitet haben, aber denen die Preislisten der Grossverteiler nicht weiter helfen, folgender Tip: Suchen Sie ein indisches Lädeli in Ihrer Nähe (in Zürich z.B. an der Mühlegasse) und kaufen Sie einige der Dosen, Gläser, Körner, Brote und Süssigkeiten aufs Geratewohl ein. Essen Sie dann z.B. bei Ravi oder Raja Bongo oder, falls die Zeit nicht reicht, nehmen Sie aus dem Lädeli ein Take-Away Menu mit. Probieren Sie dann in Ruhe das Eingekaufte aus. Sie werden sehen, es lohnt sich.
Indische Küche hilft dem Bierumsatz. Zum Beispiel in Form von knackigen Papadams als Snack.
Indische Küche hilft der Rendite. Die Grundzutaten sind günstig und der Gast bezahlt einen anständigen Preis. Selbst wenn mit Fleisch gekocht wird, muss der Garmethode wegen nicht unbedingt das teuerste Stück benutzt werden.
Indische Küche ist einfach zu lernen. Fragen Sie Ihren tamilischen Mitarbeiter. Er zeigt Ihnen die südindische Variante. Mit einem Kochbuch und etwas weniger Chilipowder lernen Sie auch die Gerichte der anderen Regionen (dem Schweizer Gaumen angepasst) herzustellen.